Der arme Poet | by Carl Spitzweg |
Dieses Gedicht ist eine schriftliche Hommage an Carl Spitzwegs berühmtes Gemälde 'Der arme Poet'. Es soll eine neuzeitliche Interpretation seines im Epochengeist des Naturalismus entstandenen Meisterwerks sein und Bezug nehmen auf die aktuelle Lage des Poetentums. Damals wie heute stand die thematische Behandlung bis dato unbekannter sozialer Problemwelten im Zentrum der zeitgenössischen Literatur. Und damals wie heute war ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel die Ursache.
Diszipliniert übt unser Schreiberling sich in der Kunst der Poesie.
Inmitten all der Flut an Nachrichten und Weltereignisse
Macht seine Feder halt zum Recherchieren, Analysieren, Dokumentieren.
Er unterscheidet Recht von Unrecht, Wahrheit von Halbwahrheit und formuliert
All jene Sätze, die der Geist seiner Generation in sich trägt...
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Doch seine Generation hat keine Zeit...
Keine Zeit, der Lyrik still zu harren,
Die da gelegentlich nur recht behäbig
Aus dem Tintenfass gekrochen kommt.
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Einst nannte man ihn Dichter und Poeten,
Philosophen gar und Stimme der Epoche,
Heute ist er unbekannter Texter, Contentproduzent oder Journalist,
Gezwungen, all das, was ihn und andere bewegt,
In 'gewinnbringende Berichterstattung' zu verwandeln.
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Poesie hat keinen Platz...
Wenn eine Sensation die nächste jagt,
Und alle Stifte, Tasten, Zeichen
Dem Konsum und seinen Händlern dienen.
Wie ein Produkt muss sie sich verkaufen,
Die Schlagzeile 'Information',
Wenn unser Schreiberling wahrlich
Vom Schreiben leben können will...
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Und so verirrt er sich nur allzu leicht
Ins heikelste aller Geschäfte -
Den Handel mit Moral und Idealen.
Des Dichters Auge sieht beides flüchtig schwinden,
Unterdes die nächste Deadline ruft,
Sich schon beschwert ob seiner täglich' Träumerei.
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Und erst sein Geldbeutel...
Er knurrt vor Hunger, muss das Essensgeld
Sich von Marketingkonzepten der Moderne
Aus den Rippen schlagen lassen.
Arm ist er, wie eine Kirchenmaus.
Zumindest hier hat sich an seiner Profession
Nach all der Zeit nicht viel verändert.
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Leise ist sie geworden...
Die Stimme der Epoche, die uns'rem Wortkünstler
In all seiner wortkünstlerischen Leidenschaft
Einst den Mut zum Formulieren gab.
Das Potential, es ist noch da,
Jedoch tief vergraben unter einem Wust
Von fremden Sprachen.
Keine davon ist seine eigene, nein,
Diese schlummert im Verborgenen und zeigt sich,
Ganz wie Glück und Liebe, nur noch bei Gelegenheit...
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Unser armer Schreiberling...
Erschöpft, nahezu bewusstlos
Liegt er am tiefsten Grund der Prosa.
Zermürbt zerschlägt er seine Ambitionen.
Das EINZIGSTE, was seine fast schon taube Hand
Ab und an noch zu beflügeln weiß,
Ist der Zuspruch seiner Leser.
Sie, die den Willen unseres Philosophen
Mit gelegentlichen Herzmassagen notdürftig am Leben halten.
Sie, deren Meinung er ja teilt und versucht,
Hinaus in diese Welt zu übersetzen,
Damit sie auch erreicht den letzten aller Winkel.
Ja sie, die Abonnenten seines Lebenswerks
Bilden die Begründung seiner Existenz...
Ein Herzschlag...
Was wäre er ohne des Lesers kritischen Blick,
Dessen Fähigkeit Qualität von Quantität zu unterscheiden weiß?
Ein Wimpernschlag...
Was hielte ihn vor seinem Pergament,
Wenn dort draußen nicht tausend Augen auf seine Worte warten würden?
Ein Tastenschlag...
Aye, nur für sie will er noch weiter rätseln
An den Mysterien der Menschheit,
An deren Fakten und Fantastereien,
An deren Literatur der Lethargie.
Allein die Leser können ihn noch lenken, leiten, retten.
Und darum schreibt er weiter, unser armer Schreiberling.
Für sie...
Für sich...
© by der blaue Federkiel
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