Schreibbüro zum blauen Federkiel

Eleonore und die Aasgeier - Teil 1

(Aus der Blogreihe: Von Wortsklaven und Wortdieben)

 

 

In der Novelle Elenore und die Aasgeier trifft die Journalistin Gwen O'Malley auf die Nachwuchsautorin Eleonore Porter. Die junge Dame hatte sich bei Gwen's Verlag um einen Praktikantenjob beworben und offenbart im Verlauf ihres Vorstellungsgesprächs düstere Einblicke in die Welt der Literatur. Ohne es zu merken wurde sie Jahre lang von zwielichtigen Agenturen ausgebeutet und um ihre Urheberrechte und ihren rechtmäßigen Verdienst gebracht. - Eine Adaption auf aktuelle Geschehnisse im Bereich des Online Journalismus.

 


 


"Der Dichter ist eine Welt, eingeschlossen in einen Körper"


- Victor Hugo, französischer Schriftsteller -

 

 

 

Ein gefundenes Fressen

 

Als ich Eleonore P. für ein Privatinterview im Schlosscafé treffe, wirkt sie ziemlich unsicher. Eine junge Frau mit auffallend individuellem Mode- und Frisurgeschmack öffnete zögerlich die Eingangstüre und sah sich hilfesuchend nach einer vertraut wirkenden Person im Raume um, auf deren Foto sie durch Zufall im Internet stieß. Sie sucht nach mir. Eigentlich sollte jemand, der den Mut besitzt, dem Fashiondiktat unserer Zeit so entschieden zu entsagen, etwas selbstbewusster auftreten, so dachte ich. Doch nachdem sie mir in einem mehrstündigen Gespräch von ihrem beruflichen Werdegang berichtet hat, wird mir klar, was die angehende Autorin zu einem derart schreckhaften Mäuschen machte. Die großen 'Worthändler des Internets' haben der Schriftstellerin ihren Mut genommen, weiter an ihrem literarischen Erfolg festzuhalten. Sie haben ihre Texte zerstückelt, ihre Ambitionen missbraucht und ihre lyrische Inspiration durch Vermarktungsdiktate ersetzt.

 

 

Alleine ist Eleonore, deren Wortwahl sich während unserer Unterhaltung ganz klar vom gängigen Sprachjargon absetzt, mit ihrem Schicksal nicht. Ihre Geschichte steht stellvertretend für einen ganzen Berufszweig, dessen künstlerische und kreative Leistung heute offensichtlich nicht mehr wert ist, als ein paar Cent-Stücke. Straßenkünstler möchte man die Journalisten, Dichter und Philosophen der Moderne fast schon etwas abwertend nennen. Obgleich jeder Künstler in den Fußgängerzonen unserer technologisierten Hochburgen bei dieser Assoziation ebenso entwertet würde, wie seine Kollegen im virtuellen Textgeschäft.



Schreiben fernab der Lohnuntergrenze

Ich bin bemüht, meine Fragen zur Beurteilung von Eleonores Fähigkeiten so behutsam wie möglich in das Gespräch mit einfließen zu lassen. Sie ist offensichtlich mehr als nervös und bräche mir bei allzu direkten Erkundungen wahrscheinlich vor allen Leuten in Tränen aus.  

 

 

"Wie bist du denn eigentlich zum Schreiben gekommen?"  

 

 

Mit sanfter Stimme versuche ich, in Erfahrung zu bringen, wann ihr literarischer Werdegang begonnen hat. Der Blick der jungen Frau klart zunächst etwas auf und schweift in Gedanken weit ab. 

 

 

"Ich hatte schon immer viele Worte in mir, die ich gerne mit der Welt da draußen teilen wollte," gesteht sie. "Dinge, die ich für wichtig hielt und von denen ich dachte, dass sie etwas mehr Bedeutung in der Öffentlichkeit verdient hätten. Also schrieb ich sie auf, damit sie nicht in Vergessenheit geraten." Eine von den Tiefgründigen. Na, das klingt doch schon mal sehr vielversprechend, denke ich mir. 

 

 

"Und? Hat sie die Welt schon gehört, deine Gedanken?"

 

 

Meine Worte lassen ihr Lächeln schnell erlöschen. Sie habe bis jetzt nicht wirklich die Gelegenheit dazu gehabt. Schließlich sei es für die wenigsten möglich, gleich von Beginn an mit den eigenen Texten Geld zu verdienen. Aus diesem Grund fing sie zunächst an, bei einigen Textbörsen wie Textbreaker nach Jobs Ausschau zu halten. Die Enttäuschung folgte schnell, war sie doch bei Weitem nicht die einzige, die in den virtuellen Wochenmärkten für Buchstabensalat ihre Schreibdienste anbot. Auch gestaltete sich ihre Bezahlung zu Anfang mehr als schlecht. Gerade mal 0,5 bis 1,0 Cent pro Wort hätte sie verdient. Leben kann von solchen Peanuts nicht einmal der talentierteste Autor. 

 

 

"Was sollte ich denn machen? Ich hatte keinerlei Referenzen und keine fundierte Ausbildung. Das einzige, womit ich überzeugen konnte, waren meine Texte." 

 

 

Äußerst gute Texte, wie ich selbst beurteilen durfte. Geschichten, in denen Eleonore viele Stilmittel korrekt und professionell angewandt hatte. Essays, denen eine saubere Recherche zugrunde lag und die so manchen Leser vom ersten Moment an gefesselt hätten. Und Gedichte, deren Versmaß von großem Können zeugte. Doch nach lyrischen Meisterwerken wurde in den hiesigen Textbörsen nicht gefragt. Worum es dort ging, waren Werbetexte, Produktbeschreibungen und, mit viel Glück, ein Städte- oder Länderprofil. Das wäre jetzt noch nicht das Ende aller Tage gewesen, wenn die Auftragsbeschreibungen nicht dauerhaft aus Hieroglyphen bestanden hätten. Die Jungautorin verlor manchmal mehr Zeit beim Entziffern und Umsetzen der grauenhaften Formatierungsanweisungen, als mit dem Recherchieren und Verfassen des eigentlichen Textes. Bei den bereits erwähnten Cent-Brotkrumen, die man ihr dafür als Vergütung in Aussicht stellte, eine definitive Abzocke.



Umso erfreulicher war es für Eleonore, als sie nach etlichen Wochen endlich in der 'Fünf-Sterne-Verdienst-Rangliste' der Börse nach oben kletterte. Weil Kunden sie durchgehend gut bewerteten stieg ihr Wortpreis auf ganze 2 Cent und es landeten immer öfter Direktaufträge von Börsenkunden in ihrem Postfach. Darunter eine dubiose Textagentur namens Unsafer SEO...




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