Epoche des Sturm und Drang (1767 - 1795)
 |
Der Wanderer über dem Nebelmeer (Caspar David Friedrich) |
Notiz:
Obwohl das Gemälde Der Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich lange nach dem literarischen Sturm und Drang entstand und als eines der ikonischsten Werke der Romantik gilt, lassen sich stimmungsästhetische Parallelen in der Erhabenheit der Natur und der emotionalen Selbstvergewisserung des Dargestellten erkennen. Veranschaulichen lässt sich dies anhand eines Zitates aus Goethes Die Leiden des jungen Werther von 1774. Darin heißt es:
„Ich fühle mich wie ein Gott – ich erschaffe eine Welt!“
Das Sturm-und-Drang-Zitat passt perfekt zu Friedrichs Gemälde. In seiner Bildsprache ist der Künstler jedoch kontemplativer und metaphysischer als die klassische Kunst des Sturm und Drang – ganz im Geist der Romantik. Es zeigt die enge Verbindung von Mensch und Natur, wie sie für die Epoche charakteristisch ist – zugleich symbolisiert die Rückenfigur das romantische Ideal des nach Sinn suchenden, innerlich bewegten Individuums.
_____________________________________________
Begriffserklärung: Der Begriff Sturm und Drang bezeichnet eine literarische Jugendbewegung des späten 18. Jahrhunderts, die sich gegen die vernunftbetonte Aufklärung wandte. Der Name geht auf das Drama Sturm und Drang (1776) von Friedrich Maximilian Klinger zurück, einem engen Freund Goethes. Die Bezeichnung steht sinnbildlich für den emotionalen Aufruhr, das Aufbegehren gegen Autoritäten und die kultivierte Leidenschaft, mit der diese Generation ihre literarische Sprache neu erfand.
_____________________________________________
Rebellion des Genies als historischer Hintergrund
Der Sturm und Drang entstand als jugendlicher Gegenentwurf zur vernunftdominierten Welt der Aufklärung. Die Autoren, zumeist junge Männer im Alter zwischen zwanzig und dreißig, lehnten das Primat der Vernunft, die strenge Regelpoetik und die Unterordnung unter gesellschaftliche Normen radikal ab. Im Mittelpunkt standen stattdessen Gefühl, Natur, Individualität und das künstlerische Genie.
Gesellschaftlich blieb der Feudalismus zwar weitgehend bestehen, doch das bürgerliche Selbstbewusstsein wuchs – getragen von einer neuen Bildungsschicht. Zugleich entfaltete sich eine tiefgreifende Sehnsucht nach Freiheit, auch ausgelöst durch das Vorbild der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Der Sturm und Drang war eine literarische Eruption – emotional, wild, ungestüm und voller schöpferischer Kraft.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass sich gegen Ende der Sturm-und-Drang-Zeit nicht nur in Deutschland die Rebellion als energisches, politisches Werkzeug des Bürgertums etablierte. Immerhin kam es mit der Französischen Revolution zwischen 1789 und 1799 zur offenen Konfrontation zwischen Volk und Krone.
 |
Tsunami - Die große Welle von Kanagawa (Katsushika Hokusai, 1831) |
_____________________________________________
Bedeutung des Sturm und Drang für die Literatur
Die Literatur des Sturm und Drang war ein Befreiungsschlag. Junge Dichter, getragen von emotionaler Wucht und schöpferischer Selbstgewissheit, stellten sich gegen die starre Vernunftpoetik der Aufklärung und erhoben das Gefühl zum Maß aller Dinge.
Inmitten gesellschaftlicher Unfreiheit und geistiger Enge entdeckte die Literatur das Ich als rebellisches Prinzip. Sprache wurde nicht länger gezähmt, sondern geformt von Leidenschaft, Aufruhr und Naturverbundenheit.
Der Sturm und Drang schuf ein neues Bild des Dichters – nicht mehr als moralischer Lehrmeister, sondern als kraftvolles Genie. Damit ebnete er den Weg für moderne Subjektivität in der Literatur und bereitete stilistisch wie inhaltlich den Übergang zur Klassik vor.
Die Entdeckung des Genies
Im Zentrum dieser Epoche stand das Originalgenie – ein schöpferischer, überkonventioneller Geist, der sich nicht an Regeln hält, sondern neue Maßstäbe setzt. Die Dichtung wurde zur Ausdrucksform des Ichs, das sich in seiner Einzigartigkeit und inneren Wahrheit behaupten will.
Literarische Besonderheiten
Emotion wurde während der Sturm-und-Drang-Zeit zur höchsten Instanz. Die Sprache löste sich von klassizistischer Kühle, war bildhaft, impulsiv, oft rau und voll innerer Spannung. Themen wie Vater-Sohn-Konflikt, Freiheitsdrang, Selbstverwirklichung, Naturverehrung und leidenschaftliche Liebe standen im Fokus.
Gleichzeitig wurde die Literatur politischer – Kritik an Adel, Klerus und Willkürherrschaft war deutlich hörbar. Neben Lyrik und Hymnen dominierten vor allem zwei literarische Textsorten, die besonders gut zur rebellischen, emotional aufgeladenen Grundhaltung der Epoche passten:
Drama
Das Drama war das bevorzugte Ausdrucksmittel der Sturm-und-Drang-Dichter. Es erlaubte eine unmittelbare Konfrontation mit Autoritäten, gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und innerem Aufruhr. Dabei trat das bürgerliche Trauerspiel an die Stelle der höfisch-klassizistischen Tragödie.
Die Helden waren nun häufig junge Männer aus dem Bürgertum, die an gesellschaftlichen Zwängen zerbrachen. Auch historische Dramen wie Goethes Götz von Berlichingen wurden beliebt, da sie die Idee individueller Freiheit und Selbstbestimmung in einem „heldenhaften“ Gewand zeigten.
Briefroman
Mit Goethes Die Leiden des jungen Werther wurde der Briefroman zur prägenden Prosaform der Epoche. Diese Textsorte erlaubte die Darstellung subjektiver Gefühlserlebnisse in einer besonders direkten und authentischen Weise – ganz im Sinne des Sturm-und-Drang-Ideals vom leidenschaftlich empfindenden Individuum.
Stilmittel und Motive
Die Motive des Sturm und Drang kreisen um das Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur, Gefühl und Ratio, Freiheit und Zwang:
-
Herz statt Verstand
-
Natur als Spiegel der Seele
-
Leidenschaft statt Ordnung
-
Das schöpferische Genie als Idealfigur
-
Freiheitsdrang, Weltschmerz, Individualismus
Typisch ist eine oft fragmentierte, expressive Sprache, die den inneren Aufruhr der Figuren nach außen trägt – voller Ausrufe, Ellipsen und emotionaler Metaphern.
_____________________________________________
 |
Prometheus (von Johann Wolfgang von Goethe) |
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte,
die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber war
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir wider
der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle Knabenmorgen
Blütenträume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
_____________________________________________
Bedeutende Werke & Vertreter des Sturm und Drang:
Der neue Menoza (Lustspiel, 1773)
Jakob Michael Reinhold Lenz
Gedichte und Hymnen (Poesiesammlung ab 1773)
Friedrich Gottlieb Klopstock
Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (Drama, 1773)
Johann Wolfgang Goethe
Die Leiden des jungen Werther (Briefroman, 1774)
Johann Wolfgang Goethe
Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung (Drama, 1774)
Jakob Michael Reinhold Lenz
Die Soldaten (Drama, 1776)
Jakob Michael Reinhold Lenz
Sturm und Drang (Drama, 1776)
Friedrich Maximilian Klinger
Die Räuber (Drama, 1781)
Friedrich Schiller
Kabale und Liebe (bürgerliches Trauerspiel, 1784)
Friedrich Schiller
zurück zum Hauptartikel »
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen