Schreibbüro zum blauen Federkiel

Literatur in Tateinheit mit Kunst: Expressionismus

 

Epoche des Expressionismus (1910 - 1925)


Die großen blauen Pferde (Franz Marc)


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Begriffserklärung: Das Wort Expressionismus leitet sich ursprünglich vom lateinischen expressio für „Ausdruck“ ab. Die Epoche steht somit im Gegensatz zum Impressionismus, bei dem äußere Eindrücke und Stimmungen im Vordergrund standen. Stattdessen richtet sich der Expressionismus nach innen. Er will das Innere ausdrücken, das Seelenleben, die Gedankenwelt, das Zerrissene, das Chaotische und das Verstörte. In der Literatur bedeutet das: Kunst als Schrei, als Aufbruch, als Gegenwehr gegen Erstarrung und Konvention.

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Ein Schrei nach Veränderung als historischer Hintergrund

Der Expressionismus war keine einheitliche Bewegung, sondern ein stilistisch wie thematisch vielschichtiger Umbruch – getragen vor allem von jungen Autoren, die sich gegen bürgerliche Ordnung, Ästhetizismus und politische Gleichgültigkeit wandten.

Die Epoche entstand in einer Zeit rasanten gesellschaftlichen, technischen und politischen Wandels. Wichtige Einflüsse auf die Entstehung des Expressionismus waren dabei folgende gesellschaftliche Themen:

  • Verstädterung, Industrialisierung, Entfremdung

  • Krise der traditionellen Werte, zunehmende Militarisierung

  • Vorahnung des Ersten Weltkriegs (1914–1918) und die Katastrophe selbst

  • Verunsicherung durch Massenkultur, Anonymität und seelischen Zerfall

Viele junge Schriftsteller reagierten darauf mit Radikalität, Formzertrümmerung und einer neuen Sprache, die den Zustand der Welt nicht verschönert, sondern aufrüttelt. Literatur wird existenziell.


Übrigens: Auch wenn Impressionismus und Expressionismus im Grunde gegensätzlich sind, verbindet sie doch so einiges. Die im Impressionismus von außen aufgenommen Eindrücke werden im Expressionismus innerlich verarbeitet und führen so ebenfalls zu einer reichen Auseinandersetzung mit der Außenwelt. 

Ein gutes Beispiel dafür, wie impressionistische Künstler ihre expressionistischen Nachfolger beeinflusst haben, ist Van Gogh. Er gilt gemeinhin als Vertreter des Spät- bzw. Post-Impressionismus, legte mit seiner unkonventionellen Umgebungsmalerei jedoch den Grundstein für die Malerei des Expressionismus. Gleiches gilt für Edvard Munchs berühmtes Gemälde "Der Schrei".


Starry Night (Van Gogh)


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Bedeutung des Expressionismus für die Literatur

Die Autoren des Expressionismus veränderten das literarische Schreiben grundlegend. Es ging nicht mehr um Realitätsabbildung, sondern um Seelenzustände, Visionen, Schmerz, Ekstase, Wahnsinn und Zerstörung


Unkonventionalität als literarisches Werkzeug

Die Sprache wurde in der expressionistischen Literatur oft zum Stakkato, zur Verkürzung, Verdichtung, zum Bildschock. Konventionelle Syntax und Reimstrukturen traten in den Hintergrund – stattdessen dominierte die Kraft des Bildes, die Fragmentierung des Subjekts, der Ruf nach Erneuerung.

Gleichzeitig versuchten viele Autoren auch eine ethische Neubegründung des Menschen, oft mit religiösen, philosophischen oder utopischen Elementen.


Literarische Besonderheiten

Typische Textsorten des Expressionismus war unter anderem die Lyrik. Lyrische Texte galten als zentrales Ausdrucksmittel, da sie laut, bildstark und aufrüttelnd die inneren Welten der Autoren wiedergaben.

Auch das Drama, oft in Form von Stationendramen ohne klassische Handlung, war im Expressionismus sehr beliebt. Die Erzählprosa bot ergänzend eine Textvariante, in der expressionistische Autoren visionär und häufig fragmentarisch ihre inneren Monologe ausdrücken konnten.


Stilmittel und Motive

Zu den wichtigsten Motiven des Expressionismus gehören freilich Themen wie Krieg, Tod und Wahnsinn. Gleichwohl beschäftigten sich die Autoren der Epoche auch mit dem Ich-Verlust, etwa im Kontext der Großstadt und ihrer riesigen Menschenansammlungen. 

Weitere typische Motivfelder waren Blut, Feuer, Maschinerie, Explosion, Dunkelheit und Moloch. Klassische Stilmittel, die dem Expressionismus zugeschrieben werden, sind:

  • Neologismen

  • Ellipsen

  • starke Verben

  • Verfremdung

  • Metaphernrausch

  • Bilderflut

  • Chiffren


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Grodek (von Georg Trakl)



Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.

Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! Ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.


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Bedeutende Werke & Vertreter des Expressionismus:


Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt (Novelle, 1910)
Alfred Lichtenstein

Weltende (Gedicht, 1911)
Jakob van Hoddis

Morgue und andere Gedichte (Gedichtband, 1912)
Gottfried Benn

Der Sohn (Drama, 1914)
Walter Hasenclever

Gedichte (Lyrik, 1911–1918)
Georg Trakl

Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders (Prosa, 1912–1916)
Carl Einstein

Die letzten Tage der Menschheit (Drama, 1915–1922)
Karl Kraus


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