Exilliteratur (1933 - 1945)
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Begriffserklärung: Als Exilliteratur bezeichnet man literarische Werke, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 im Ausland entstanden. Sie wurden von jenen Autorinnen und Autoren verfasst, die aus politischen, rassistischen oder künstlerischen Gründen zur Emigration gezwungen wurden. Der Begriff umfasst keine stilistisch einheitliche Bewegung, sondern ist durch die existenzielle Erfahrung von Vertreibung, Sprachverlust und Heimatlosigkeit geprägt.
Der lateinische Ursprung exilium verweist auf das Ausgeschlossensein – ein Zustand, der die Schreibenden tief durchdrang: geografisch verbannt, innerlich entwurzelt, doch sprachlich unbeugsam.
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Exil als historischer Hintergrund
Mit der Errichtung der NS-Diktatur 1933 begann eine systematische Verfolgung von Intellektuellen, Künstlern, Pazifisten, jüdischen Autor:innen, Kommunisten und anderen Regimekritikern. Bücher wurden verbrannt, Verlage geschlossen, Existenzen ausgelöscht. Wer konnte, floh ins Ausland – zunächst nach Österreich, die Schweiz, Frankreich oder Tschechien, später auch nach Skandinavien, die USA, Mexiko, Palästina oder die Sowjetunion.
Im Exil fanden viele nur prekäre Bedingungen zum Schreiben vor: finanzielle Not, Isolation, Zensur in den Aufnahmeländern und das Fehlen eines vertrauten Lesepublikums. Dennoch entstand eine vielstimmige, politische und zutiefst engagierte Literatur, die sich mit der Diktatur, der deutschen Schuld, dem Krieg und dem Wunsch nach einer anderen Gesellschaft auseinandersetzte.
„Schreiben hieß überleben – zwischen Sprache und Verlust.“
- Ágota Kristóf, ungarisch-schweizerische Schriftstellerin -
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Bedeutung der Exilliteratur für die deutsche Literaturgeschichte:
Die Exilliteratur ist mehr als nur ein historisches Dokument – sie ist ein Akt literarischen Widerstands und ein Plädoyer für die Menschlichkeit. Während im „Dritten Reich“ die offizielle Kultur gleichgeschaltet wurde, bewahrte das literarische Exil das demokratische, aufgeklärte und kritische Denken.
Das Exil als literarischer Ausnahmezustand
Das Schreiben im Exil war oft auch ein Kampf um sprachliche Identität: Viele Autor:innen mussten sich im Spannungsfeld zwischen deutscher Sprache und fremder Umgebung neu verorten. Sprache wurde zur Heimat – und zur letzten Form von Freiheit.
Dementsprechend war die deutsche Sprache selbst das wichtigste Werkzeug der Exilliteratur. Sie wurde von den Exilierten im Ausland bewahrt, als ein Stück kulturellen Erbes einer Heimat, die sie aus der Ferne schmerzlich vermissen und betrachten mussten.
Literarische Besonderheiten
Stilmittel und Motive
Die Exilliteratur ist thematisch und formal vielfältig, aber durch zentrale Merkmale verbunden. Als vorherrschende Textsorten gelten:
- Roman und Novelle (oft autobiografisch geprägt)
- Politisches Drama (z. B. episches Theater bei Brecht)
- Essay, Tagebuch, Flugschrift, Reportage
- Lyrik (teils melancholisch, teils kämpferisch)
Stilmittel und Motive
Themen wie Flucht, Verlust, Diktatur, Antifaschismus, Identitätskrise, Identitätsverlust, Heimatlosigkeit und die Hoffnung auf eine neue Gesellschaft standen in der Exilliteratur selbstredend im Mittelpunkt. Die literarischen Werke dieser Kategorie fokussieren sich namensgemäß auf das Exil, die Entfremdung bzw. das Fremdsein, sowie die innere Emigration.
Stilistisch sind die Werke teils klassisch-realistisch, teils essayistisch oder symbolisch verdichtet – oft von der Frage getragen: Wem schreibe ich noch? Für wen schreibe ich? In diesem Zusammenhang erlangten einige besondere Stilmittel in der Exilliteratur besondere Bedeutung:
- Appell (als Aufruf zur Humanität und zum Widerstand)
- Parabelhafte Erzählformen (einfache Sprache mit starker Symbolik)
- Erinnerungen als Widerstand gegen das Vergessen
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Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)
Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Ich wäre gerne auch weise
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
Die Sprache verriet mich dem Schlächter
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
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Bedeutende Werke & Vertreter der Exilliteratur:
Die Geschwister Oppermann (Roman, 1933)
Lion Feuchtwanger
Das siebte Kreuz (Roman, 1942)
Anna Seghers
Furcht und Elend des Dritten Reiches (Drama, 1938–41)
Bertolt Brecht
Der Kaiser von Atlantis (Libretto, 1943–44)
Viktor Ullmann / Peter Kien
Schriften im amerikanischen Exil (Essays & Romane, 1933–1955)
Thomas Mann
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